Vorgestern bekamen wir morgens wieder Wind und kreuzten, was das Zeug hält, gegen Wind und Strom und kamen nicht so richtig voran. Selbst als er auffrischt nähert sich der Mexico-Express, wie die jungen Crewmitglieder W4 auf der offiziellen website beschreiben, nur langsam dem Hafen von Ensenada: nach acht Stunden Nachtwachen haben wir gerade mal 25 sm in die richtige Richtung geschafft. Wir sind ziemlich frustriert: die ganze Plackerei hoch am Wind und dann das!
Aber Rasmus hat ein Einsehen und belohnt uns: der Wind steht den ganzen Tag durch und er raumt so weit, dass wir sogar zeitweise Ensenada anliegen können.
Gestern früh stand über der aufdämmernden Morgenröte noch die goldene Mondschale, schräg darüber ein heller Stern. Es sah aus, als wollte die Schale ihn auffangen, sollte er abstürzen. Am Horizont noch ein weiterer heller Stern, den ich einfach mal „Venus“ nannte, weil er ja den Morgen ankündigte. Es waren die einzigen Sterne, die von der ansteigenden Morgendämmerung nicht überstrahlt wurden. Angesichts dieses wunderbaren Himmels schäme ich meiner Unkenntnis des Firmaments. Im Süden beispielsweise stand die letzten Tage lange ein Sternbild, das einem Krebs mit Skorpionsschwanz glich, ein riesiges Sternzeichen, das ich, da ich es nicht identifizieren konnte, einfach nach meinem Volleyballfreund „Uli“ nannte.
Kurz vor Wachwechsel um 8 Uhr setzt sich der Skipper zu mir. „Dolf“, sagt er, „Du bist ein fantastischer Rudengänger. Wie Du das Schiff im Wind hältst, ist einfach grosse Klasse.“ Wie gut so ein Lob einem lumpigen Smut tut! Das wärmt das Herz nach dieser kalten Nacht.
Das ist natürlich eine Reaktion, die aus ebensoviel Eitelkeit wie understatement besteht: irgendwie muss sich ja die Erfahrung von über 30 Jahren Hochseesegeln und zweimal Kap Hoorn niedergeschlagen haben. Aber so ist das: ich bin Teil einer Crew, deren andere, mit Ausnahme von Axel, jungen Mitglieder mich so gut wie nicht gekannt haben, bevor ich an Bord kam. Und zwischen diesen jungen Bundesgeschwistern war die Rollenverteilung klar, auch jenseits der Hierarchie und Funktionen an Bord. In so ein Gefüge muss man sich erst einfädeln und, wie es scheint, ist mir das nicht nur als Smut gelungen…
Der Wind steht fast 46 Stunden durch – für uns ist das Rekord und wir müssen zum ersten Mal das Stromaggregat anwefen, um die Batterien für die Beleuchtung, die Pumpen und das ganze elektronische Paket an Bord zu laden.
Das Wasser hat nur noch 15° C, was am Nachmittag den grösseren Teil der Crew nicht davon abhält, Badeurlaub zu machen. Da ich mich ein paar Stunden zuvor im Klokabuff, in dem man sich nur als Schlangenmensch wohlfühlen kann – schon die Hosen „danach“ wieder hochzuziehen erfordert akrobatische Techniken – mit ca. 2 l rationiertem Süßwasser einer Ganzkörperreinigung unterzogen habe, ziehe ich es vor, mich mit einer der letzten Dosen „Montejo“ abzukühlen. Ausserdem bin ich gerade dabei, aus dehydrierten Rindfleischfasern „hamburger“ zu basteln, was wider Erwarten exzellent gelingt. Dabei geht die letzte Flasche Ketchup drauf, der auf Spanisch „Catsup“ heisst und wo eigentlich nur ein „o“ fehlt um zu sagen, wie er schmeckt. Am Vortag gab es Linsen mit „Kassler“, also lomo ahumado und Reis und aus dem restlichen Reis und den Spaghetti vom Vortag brate ich am Abend süsse Kuechlein zum Obstsalat. Die Crew leckt sich die Finger. Also: ich bin ein phantastischer Rudergänger und ein brillianter Koch. Was will man mehr.
Ich hatte mir in Barra Navidad, ich schrieb schon davon, ein paar billige Jeans gekauft, waist 34, die Weite, die meine anderen Hosen auch haben, aber am zweiten Tag begann sie über die Hüften zu rutschen. Die Frage ist nur, hab ich abgenommen, oder hat das billige Gewebe nachgegeben? Seis drum. In der Nacht, der letzten vor Ensenada, erwies sich das als reiner Segen. Man muss ja sowieso immer das Positive sehen. Ich zog sie über die andere Hose an, das Ölzeug darüber und fror zum ersten Mal nur an den Füssen. Dabei war es so kalt, dass der Atem kondensierte.