Regierungs- und andere Wechsel

Wir hatten 1981 die Wahl verloren. Das war vorher schon abzusehen gewesen. Und es waren eigentlich auch gar nicht „wir“ gewesen, die verloren hatten, die Linken – vergeigt hatten es Stobbe, Grimming, Rieb­schläger & Co. Erinnert sich jemand noch an die Namen und Gesichter? Nicht einmal ich, der ich sie auf vielen Parteitagen aus leidvoller Nähe erlebt habe. Aber sie waren mir sowieso immer zuwider gewe­sen, Dietrich Stobbe schon rein körperlich. Ihn umgab eine Fettschicht kleinbürgerlicher Selbstgerech­tigkeit, die ihn für Zweifel unanfällig machte, nicht aber für weitere Verwendung: nach seinem Fiasko als Regierender Bürgermeister wurde er über die Friedrich Ebert Stiftung nach New York entsorgt und ich hörte danach nie wieder etwas von ihm, so dass ich annahm, er sei mittlerweile tot.

Doch weit gefehlt: das Landesarchiv sagt in seiner Kurzbiographie:

„Am 1. September 1991 trat er als leitender Mitarbeiter in den Dienst eines amerikanischen Anlageberatungsunternehmens, das Strate­gien für Aktivitäten in den neuen Bundesländern entwickelt.“ Das heißt: er tingelt seither durch die Gegend, knüpft Verbindungen, belebt alte Bekanntschaften, drückt hier ein bisschen, dort zieht er Fäden – kurzum: er macht genau so weiter, wie er seine Landesregierung ins Nichts steuerte, als Lobbyist seiner selbst.

Jürgen Grimming war politisch dagegen ein kleineres Licht. Er war der Terrier, den Kurt Neubauer auf die Parteilinke und hier vor allem auf uns JuSos angesetzt hatte. Grimming spielte den Wadenbeißer und Haudrauf, aber er überraschte dabei wenigstens manchmal mit dem Mutterwitz der proletarischen Hinterhöfe. Zur Belohnung wurde er kaufmännischer Direktor der defizitären Porzellanmanufaktur – niemand begriff, was ihn dazu eigentlich befähigte. Und kurz darauf musste er auch schon wieder gehen: er hatte zwei Abteilungsleitern, auch sie Genossen, eine Gehaltserhöhung spendiert. Man löste den Abgang elegant: Grimming ging in den Bundestag und ließ sich bei der KPM „beurlauben“. Das Letzte, was über ihn öffentlich zu hören war, ist vom Berliner Journalistenverband, der über die Pensionsrückstellungen für seinen ehemaligen Geschäftsführer Pleite gegangen ist.

Klaus Riebschläger war von den Dreien der Gerissenste. Ein Karrierist, den ich nie anders erlebte, als zerfressen von Ehrgeiz, innerlich verspannt, von Misstrauen und Selbstkontrolle gepeinigt. Er war Teil dieses korrupten Netzwerks, aber er verstand es, sich nicht soweit gemein zu machen, dass man ihm etwas hätte nachweisen können. Dafür war er schließlich zu sehr Jurist. Alle Spenden der Bauindustrie hatte er als Schatzmeister der Berliner SPD nach Recht und Gesetz verbucht und für die Vergabe der Aufträge waren andere zuständig. Als ich für das Abgeordnetenhaus kandidierte, vermittelte mir ein JuSo-Genosse die Spende einer Schnapsfirma, bei der er arbeitete. Sie war für mich persönlich, für meinen Wahlkreis und nicht besonders hoch, ein Tausender höchstens. Der Spender wollte nicht einmal eine Spendenbescheinigung. Die einzige Bedingung war: Klaus Riebschläger sollte unbedingt erfahren, dass die Firma gespendet hatte. Ich brauchte nicht zu fragen, warum.

Die hatten das vergeigt, nicht wir. Und natürlich ein paar andere mediokre Figuren aus der rechten SPD mit ihnen auch. Berlin bürgte mit 115 Mio DM für einen Bauunternehmer, der in Saudi Arabien und Jordanien das große Geschäft machen wollte. Als Dietrich Garski seine Projekte in den Wüstensand gesetzt hatte, wurden die Landesbürgschaften fällig. Das war das Tüpfelchen auf dem „i“ einer Serie von Berliner Bauskandalen der 70er. Während in diesem Fall das Land Berlin, also der Steuerzahler für die Kosten gerade stand, hatte ein paar Jahre zuvor die Berliner Bauunternehmerin Sigrid Kressman-Zschach Geld für das Land ausgegeben, genauer für einen Staatssekretär, dem sie ein verlängertes Wochenende mit Schäferstündchen spendete. Es war, glaube ich, ein Nobelhotel am Wolfgangsee, wo sie sich ihn ins Bett holte. Leute, die sie näher zu kennen vorgaben behaupteten, sie habe ihre Interessen häufiger mit vollem Körpereinsatz verfolgt.

Das konnte ich gut nachvollziehen aber leider konnte ich selbst bei ihr nicht damit rechnen. Mein Einfluss war höchstens rhetorischer Art und auf kleinere Sektoren der Charlottenburger Partei und die JuSo’s beschränkt. Auch in der Fraktion der BVV, dem Dorfparlament von Charlottenburg, war ich eher bei der Minderheit. Das traf auch in diesem Fall zu, es muss wohl 1973 gewesen sein, bei der Ausschussberatung zur Änderung des BPlans für das Kurfürstendamm-Karree. Es war ein Projekt der schönen Sigrid und wir sollten der Erhöhung der Geschosszahl von 21 auf 23 zustimmen. Das Hochhaus war im Rohbau so gut wie fertig, die Zeitungen schrieben aber, auf dem Dach solle noch ein Schwimmbecken gebaut werden. Also ging ich hin und zählte die Geschosse. Es waren schon 23, was mich nicht so richtig amüsierte.

Die Bauherrin wurde in den Ausschuss eingeladen. Sie zog ein, gehüllt in ein elegantes Kleid und stilles Leid. Ihr Tonfall war aschfahl wie das weiche Tuch, das ihr nur knapp bis über die Knie fiel. Sie blickte in den Abgrund, den Ruin ihres Lebenswerks vor Augen. Sie spielte die Rolle prächtig: die zwei Geschos­se entschieden über Wohl oder Wehe ihrer Existenz als Unternehmerin, als Frau. Sie bat nicht um die Änderung des BPlans, sondern sozusagen um Erbarmen.

Selbst als ich ihr etwas grob zu verstehen gab, sie solle nicht so tun, die beiden Geschosse seien ja schon drauf, blieb sie im Tonfall der leidenden Frau: ja, da hätte ich wohl recht, aber zwei der Etagen seien reine Versorgungsgeschosse, die nicht zählten. Das machte Eindruck auf die Bezirksverordneten. Und niemand vom Bauamt, die das besser hätten wissen und korrigieren müssen, widersprach dem. Ich kündigte an, mich in der Fraktion gegen die Änderung einzusetzen. Nach Schluss der Sitzung fragte ich sie, ob sie mich mit dem Auto mitnehmen könne – ihr Weg führe dicht an meiner Wohnung vorbei.

Vor dem Rathaus stand ihre Limousine, ein Rolls Royce. Der Chauffeur riss ihr und mir den Schlag auf. Ich hatte ihn schon einmal auf einem Foto in der Zeitung gesehen. Es war ihr Geliebter, ein junger italienischer Maler, aber sie blieb Grande Dame und redete ihn mir „Sie“ an. Auf dem Weg sprach sie kaum, was mich enttäuschte. Ich hatte gehofft, sie würde persönlicher werden, eine Frage vielleicht nach dem Haus in der Wangenheimstraße, das wir gemeinsam mit den Judis, unseren Freunden gekauft und restauriert hatten. Ich wollte ihr von den Bauproblemen erzählen, vom Dachausbau, der anstand. Ich hoffte insgeheim, sie würde auf so ein Thema vielleicht eingehen und ihren professionellen Rat anbieten – damit hätte ich gerne gespielt. Aber es kam nichts. Ich war einfach zu unbedeutend in diesem Geschäft.

Das zeigte sich in der Fraktion: unser Vorsitzender gab großzügig die Abstimmung im Plenum frei. Wir konnten nicht einmal mehr gegen die Arroganz der korrupten Macht anstänkern. Wir gingen mit 6 Gegenstimmen unter. Es war eine ganz große Koalition. Damals saßen in der CDU-Fraktion übrigens Matthias Kleinert, später eine große Nummer bei Daimler Benz und Jens Krause, später Chef der Adlershofer Aufbaugesellschaft. Aus denen ist was geworden.

Unser Vorsitzender, der uns Linken so großzügig die Gewissensentscheidung konzedierte, war von Beruf Beamter des Landes Berlin und arbeitete als Geschäftsführer der Verwaltungsakademie des Landes, die nach Fertigstellung des Karrees dort einzog. Den Vertrag dazu hatte er schon unterschrieben, als wir noch berieten, wie viele Geschosse es denn nun bekommen solle. So it goes, um mit Kurt V. zu sprechen…

Aber darüber wollte ich jetzt gar nicht schreiben, sondern wie mich acht Jahre später der Regier­ungswechsel erwischte, als am Ende der Skandalchronik die Wähler die SPD abstraften und Richard von Weizsäcker Regiermeister wurde. Ich hatte dafür vorgesorgt, dachte ich. Während des Interreg­nums von Jochen Vogel, als Anke Brunn für ein paar Monate meine Senatorin war, hatte ich meine Mitarbeiter versorgt. Für die junge Witwe, die mir den täglichen Pressspiegel zusammen klebte und danach die Sitzungen und die Leitungsetage mit Kaffee versorgte, das Geschirr abwusch, aufräumte und für Ordnung sorgte, hatte ich eine feste Stelle ergattert. Uli, mein Praktikant, der gerade sein Psychologiestudium beendet hatte, war schon zuvor in einen festen Job in einem Heim eingerückt.

Um mich selbst hatte ich mich nicht weiter gekümmert. Ich war hinreichend beschäftigt, öffentlich die Fahne des sozialpädagogischen Fortschritts hoch zu halten und hielt das auch für unnötig. Ich war ja unkündbar. Das waren andere zwar auch, aber die beiden anderen Leitungsreferenten, gelernte Verwaltungsleute, waren vorsichtshalber auf freie Posten in der Linie retiriert und sahen von dort aus dem Regierungswechsel gelassen zu.

Er kam zu uns „Am Karlsbad“ in Gestalt von Hanna Renate Laurien. Ihr ging der Ruf voraus, sie sei eine unerbittliche Katholikin von rechtem Schrot und Korn. Ein derber Haudegen, mit einem Auftrag, den man zwanzig Jahre später „ein robustes Mandat“ nennen würde. Kurzum: der linke Augiasstall sollte ausgemistet werden und es sollten Köpfe rollen. Damals hieß so was noch Paradigmenwechsel. Das klang weniger grausam.

Dieter Kreft, den Staatssekretär, entließ sie sofort. Dann rief sie die vier Abteilungsleiter, die Leiterin der Planungsgruppe und mich, alles gestandene Sozis, zu sich in das Senatorinnenzimmer, um sich vorzu­stellen und ihre ersten politischen Schwerpunkte bekannt zu geben. Hier, am kleinen Konferenztisch, hatte immer das Küchenkabinett getagt. Es saßen auch noch zwei, drei unbekannte Männer da, die nicht weiter vorgestellt wurden. Man hatte deshalb ein paar Stühle herein tragen müssen, damit alle Platz fanden. Dann bat Hanna „Gratnata“ um Vortrag.

Es begann Peter Prüß, der Leiter der Abteilung Personal und Finanzen: als gute Demokraten habe man, um den bevorstehenden Regierungswechsel auch administrativ zu erleichtern, im letzten halben Jahr eine Reihe von Positionen nicht besetzt. So sei er in der Lage, der Frau Senatorin folgende freie Stellen zur sofortigen Besetzung anbieten zu können: zwei der Besoldungsstufe A16, drei A13 usw. Vermutlich hatte die Personalabteilung überhaupt nichts gemacht, sondern war im Vorfeld mit der Umsetzung und Absicherung bevorzugter Genossen viel zu beschäftigt gewesen, als dass sie freie Stellen hätte ausschreiben können.

Aber Prüß machte für sich das Beste draus. Seine Beflissenheit war peinlich, aber es kam noch schlimmer. Armin Tschoepe, für Kinder, Frauen, Heimerziehung, Drogen und den ganzen anderen Schmuddelkram zuständig, versuchte es über die Ideologie: er sei ja auch katholisch und sich sicher, die katholische Soziallehre biete eine gute Basis zu vertrauensvoller Zusammenarbeit. Rudi Horn, Abteilungsleiter Sport, dessen Nachnamen man ruhig „Ochse“ anhängen konnte, um seinen geistigen Zuschnitt zu beschreiben, hatte sich offenbar schon ein warmes Plätzchen erobert, teilte nur mit, er habe der Senatorin ja schon berichtet und grinste nur einverständlich und so blöde wie immer. Wolf Tuchel, Leiter der Abteilung für Jugend und Familie, verbog sich als Einziger nicht: es sei ja offen­sichtlich, dass ihre Ansichten in vielen Punkten unterschiedlich seien. Aber dies gelte es eben aus­zuloten. Im Übrigen sei er Beamter des Landes Berlin und nicht einer Partei und also könne die Senatorin mit seiner Loyalität rechnen.

Von mir wollte die Senatorin nichts hören. Mein Auftritt kam anderen Tages.

Ich hatte eine Pressemitteilung zum aktuellen Bedarf an Krippenplätzen verfasst, oder wie es „amtlich“ hieß, zum „Betreuungsbedarf für Kinder unter drei Jahren in Tages-Einrichtungen des Landes Berlin“ oder so ähnlich. Der wurde jährlich entsprechend der Geburtenstatistik neu berechnet. Die Politik der Ausweitung der Krippenerziehung war ein Hassobjekt der CDU und auch innerhalb der SPD-Rechten nicht unumstritten. Kleine Kinder gehörten zur Mutter und nicht in Aufbewahrungsanstalten, argumen­tierten sie. Dabei hatten wir großen Wert darauf gelegt, zugleich mit dem quantitativen Ausbau auch die Qualität zu steigern: die Gruppen zu verkleinern, Bildungsinhalte und pädagogische Methoden zu erwei­tern, die Eltern verstärkt einzubeziehen und die Erzieherinnen fort zu bilden. Teil meiner Aufgabe war die Herausgabe entsprechender Materialien und die Redaktion der Fachzeitschrift, die vierteljährlich erschien. Und obwohl die Lokaljournalisten überwiegend wohlwollend berichteten, gifteten die „poli­tischen“ Kollegen der gleichen Blätter. Das wirkte sich bis in die kleinbürgerliche Basis der Partei aus.

Die Geburtenzahlen stiegen damals in Westberlin und so schrieb ich denn in die Meldung an den Lan­despressedienst, wir bräuchten mehr Krippenplätze, zeichnete sie aus „an Landespressedienst, LPD – über Sen.“, legte sie in die „Laufmappe“ und diese in den Eingangskorb der Senatorin. Keine Stunde später ließ sie mich rufen.

Hanna Renate thronte hinter ihrem Schreibtisch, bot mir keinen Stuhl an und hielt es auch nicht für nötig, mich anzusehen. Vielmehr starrte sie auf meine Pressemeldung, stippte mit dem Finger darauf und fragte mit spitzer Stimme: „Herr Straub, was ist das?“ Ich fand diese Frage eigentlich etwas albern, denn was das war, stand ja darüber: „Mitteilung an den Landespressedienst“. Aber ich ahnte natürlich, um was es wirklich ging. „Es ist eigentlich eine Routinemeldung“, sagte ich, „die wir jedes Jahr machen, wenn die Statistik vorliegt. Normalerweise gebe ich so etwas direkt an den Landespressedienst, aber da ich annehme, sie hätten dazu eine andere politische Meinung, habe ich sie diesmal zur Schluss­zeichnung über Sie geleitet.“

„Ja das stimmt“, sagte sie und sah mich an, „da bin ich ganz anderer Meinung. Mein Pressereferent heißt Egon Meyer. Guten Tag.“ Damit war ich von meinen Aufgaben entbunden. Ich sagte ebenfalls „guten Tag“, drehte mich um und ging.

Ging Egon Meyer suchen, einen jungen Mann, der etwas blass und verunsichert wirkte. Er kam vom „Rheinischen Merkur“ und so sah er auch aus: überkorrekt vom Scheitel bis zur Sohle – kein Wunder, dass er mir gegenüber befangen sein musste und gehemmt war. Ich versuchte, ihm im Schnelldurch­gang die förmlichen Strukturen und Regularien im Verkehr zwischen den Verwaltungen und mit der Senatskanzlei zu erläutern, die sich ja nicht ändern würden, aber er hörte nur halb zu. Mein Büro irritierte ihn wohl, in dem neben einem Metallrelief mit August Bebels Halbprofil auch ein kleines gewebtes Portrait von Mao hing, das ich als Andenken aus China mitgebracht und an die Pinntafel geheftet hatte. Und da hing, neben dem Gruppenfoto vor Maos Geburtshaus, damals bestimmt noch manch anderer revolutionärer Schnickschnack…

Ich sagte ihm, ich würde alles Private ausräumen und das Büro in wenigen Tagen besenrein überge­ben. Egon Meyer sprach die ganze Zeit so gut wie nichts, er schien nur etwas überrascht und erleich­tert, dass er diese Begegnung unbeschadet überstanden hatte.

Um mich kümmerte sich niemand; ich erinnere mich nicht einmal daran, einen schriftlichen Bescheid über die Entbindung von meinem Amt bekommen zu haben. Ich räumte also auf und wusste nicht so recht, wohin. Bei Ingrid Mielenz in der Planungsgruppe war ein Schreibtisch frei, an dem ein Praktikant gearbeitet hatte. Den okkupierte ich, rief die Telefonzentrale an, dass sich meine Nummer geändert hätte und wartete ab. Nichts geschah. Niemand brauchte mich. Ich ging durch das Haus am Karlsbad und fragte, ob irgendwer Texte hätte, die zu redigieren seien. Aber das erschöpfte sich bald.

Ich fuhr morgens ins Büro, fragte, ob es Arbeit für mich gebe, las Zeitung und ging oft vor dem Mittag­essen in der Kantine nach Hause. Es wurde einfach zu peinlich: auch die engeren Genossen begannen mich zu meiden. Zuerst erzählten sie mir noch, was die neue Herrschaft alles so verfügte, welche Kollegen und Kolleginnen sich ihr angedient hatten – dann hörte das auf und sie wichen auf triviale Alltagsfragen aus. Vielleicht fürchteten sie die Gegenfrage: „und Du? Was machst Du?“ Es dauerte nicht lange und niemand hatte noch ein Interesse an Gesprächen mit mir. Ich war zu nichts mehr nütze, höchstens als lebender Vorwurf aus „revolutionärer“ Vergangenheit.

Nach drei, vier Wochen ging ich gar nicht mehr erst ins Büro. Ich rief in der Personalverwaltung an und teilte mit, ich stünde bereit. Man solle mich anrufen, wenn Arbeit für mich da wäre. Niemand rief an. Es hätte wie Urlaub sein können, wäre nicht zuvor die Liebesnacht mit Christiane gewesen, derentwegen mich Margret aufgefordert hatte, das Haus zu verlassen. Damals war ich ohne feste Anschrift, schlüpfte bei Freunden unter.

Wir hatten so etwas wie ein Abkommen geschlossen: Margrets sexuelles Verlangen hatte sich in den Jahren der Ehe reduziert. In unser Schlafzimmer war Nicola eingezogen. Ich hatte mein Bett in eines der Wohnzimmer verlegt. Margret kam, wenn sie Lust hatte oder ich musste sie bitten zu kommen. Und bitten konnte ich noch nie gut. Vielleicht lag es also an mir. Wir sprachen auch nicht über erotische Bedürfnisse. Dagegen nahm ich die Gelegenheiten, die sich bei den Jungsozialistinnen boten, dankbar an. Aber auch diese Eskapaden waren zwischen mir und meiner Frau kein Thema. Es waren übrigens wenige, oder ich war wählerisch. Helga, meiner Geliebten für drei Jahre, war ich fast treu, wenn man das so sagen kann. Bis sie von Berlin wegzog und einen Manager von Unilever heiratete. Da war dann noch Josie, aber Josie war nicht so mein Fall. Ihre geistigen Interessen waren nicht sehr ausgeprägt und ihre Haschisch-Plätzchen bereiteten mir Magenkrämpfe und Übelkeit und vielleicht war ich ihr auch nicht kräftig und potent genug. Und ich hatte auch keinen großen Drang, mit ihr noch einmal zu vögeln. Gottfried, ihr Mann, war in Mexico mit dem Flugzeug abgestürzt und sie schien mir auf der Suche nach einem Nachfolger.

Christiane ging nach dem Studium zu einer Zeitung in Westdeutschland. Wir mochten uns schon länger, hatten wohl auch aneinander herumgemacht, nach den Sitzungen, auf dem Heimweg. Aber an diesem Abend sagte sie, sie ziehe nun weg. Da gingen wir zu ihr nach Kreuzberg und ich blieb die ganze Nacht, in der wir zu den Sternen flogen. Als ich zum Frühstück nach Hause kam, war heller Morgen.

Damit hatte ich das Abkommen gebrochen, nachts zurück zu kehren, wann auch immer. Meine Ent­schuldigung, es sei Christianes letzte Nacht in Berlin gewesen, sie ziehe fort, ließ Margret nicht gelten. „Ich denke, es ist Zeit, dass Du gehst“, sagte sie. Und ich sagte: „o.k., wenn Du meinst…“

Und ging mir eine Wohnung suchen.

Regierungswechsel, Wohnungswechsel, Partnerwechsel. Aber bevor Sarah richtig in mein Leben trat, ging ich erst einmal Segeln. Kap Hoorn rief.

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